Als ich gestern morgen aus unserem Wintergarten hinaustrat, um im Garten zu arbeiten, sah ich, noch bevor ich einen Schritt getan hatte, links von mir auf unserem Gartenteichsteg eine wunderschöne Mosaikjungfer auf einem Flecken Moos sitzen. Mein erster Impuls: Foto machen, so nah seh ich sie nicht oft. Gesagt, getan.
Dann legte ich den Fotoapparat wieder in den Wintergarten und wollte nun endlich an die Arbeit gehen, warf aber noch einen bewundernden Blick auf das herrliche Tier. Und mir kam der Gedanke – weil es dort so still vor sich hin saß –, dass es eventuell gerade erst geschlüpft sein könnte. Wir wissen, dass hier an unserem Teich schon etliche Libellen geschlüpft sind.
Nach genauem Hinsehen sah ich dann auch, dass die Flügel der Libelle noch gar nicht entfaltet waren. Eine Libelle braucht nach dem Schlupf 6–8 Stunden, bis ihr Körper ausgehärtet und die Flügel sich entblättert haben und getrocknet sind.
Jetzt galt es, den Beweis zu suchen. Zunächst konnte ich nichts in den Teichiris-Pflanzen entdecken. Da meine erste Arbeit aber sowieso die war, die verblühten Stängel aus diesen Pflanzen zu schneiden, bin ich dann doch fündig geworden und habe die leere Libellenlarvenhülle an einem Stängel entdeckt. Meine Vermutung war also richtig. Gewohnt sind wir es eigentlich, dass Libellen so lange vor ihrer leeren Hülle hocken bleiben, bis sie fertig ausgehärtet sind und in den Flug gehen können.
Vielleicht war der Stängel, an dem sie noch als Larve aus dem Teich geklettert ist, für ihr Gewicht zu dünn, und sie hat sich auf den Steg bemüht. Aber inzwischen war an dieser Stelle nur noch Schatten, und ich dachte mir, dass sie vielleicht mehr Sonne braucht, weil sie ja auch wohl die Sonne gesucht hatte, als sie sich den Platz auf dem Steg ausgewählt hatte. Mithilfe eines Plastikspachtels, den man beim Kuchenbacken benötigt, habe ich sie mitsamt dem Moos, auf dem sie saß, vorsichtig vom Steg in die Sonne auf die Gartenbank gesetzt.
Ein Foto wollte ich wieder machen, aber nach nur einer Minute, die ich benötigte, um die Kamera zu holen, war das Moos leer.
Ich dachte mir, weit kann sie ja wohl nicht sein mit den noch geknickten Flügeln, und richtig, ihr war es dort wahrscheinlich zu sonnig, und sie muss sich irgendwie von der Gartenbank auf das Gartenbeet gequält haben, wo sie unter einer Pflanze wohl etwas Schatten suchte. Dort hat sie noch den ganzen Nachmittag ruhig gesessen, gegen Abend war sie dann weg. Ich hoffe nicht, dass sie einem Tier zur Beute geworden ist.
Ich hoffe sehr, sie konnte zu ihrem ersten Flug in ein tolles Leben außerhalb des Wassers aufbrechen. Ich wünsche es ihr so sehr!
Nun sind wir ein paar Tage weiter, und bis zum Samstag sind bei uns noch sage und schreibe vier weitere Libellen geschlüpft, wobei die fünfte Libelle erst ein paar Minuten geschlüpft sein konnte, als ich sie am Samstagmittag in der Teichiris auf einem Stängelblatt entdeckte. Sie saß noch auf ihrer Puppenhülle, ihre Flügel noch zu einem Strich zusammengeklebt. Im Abstand von zwei Stunden habe ich immer wieder nach ihr gesehen, bis ich kurz vor 20.00 Uhr ein Foto machen konnte, auf dem ihre vier Flügel wunderbar ausgebreitet und trocken sind. Sie wird dann wohl vor Einbruch des Regens zu ihrem Jungfernflug aufgebrochen sein.
Man sollte sein Augenmerk viel öfter auf solch wunderbare Ereignisse in der Natur um uns herum legen – und derer gibt es Unmengen, wenn man sich die Zeit dafür nimmt –, gerade in der heutigen Zeit, wo die Folgen des Klimawandels zu großer Sorge Anlass geben.
H. Gieretz